Wolle? Das kann doch gar nicht so schlimm sein!
10 Fakten über Veganismus - Teil VI
Von gebrochenen Knochen und Lebendrupf
Hier geht's zu Teil 5 des Artikels Einige Tage sind vergangen, seit der letzte Teil meiner Serie "10 Fakten über Veganismus" erschienen ist. Hier ist nun Teil 6 für Euch.
Vegan ist ein Prozess. Zu Beginn meiner Serie "Zehn Fakten über Veganismus" trug diese noch den Titel "10 Fakten über vegane Ernährung". Natürlich ist das Thema aber viel weitgreifender und betrifft nicht nur die Ernährung.
Jeden Tag neue Erkenntnisse
Doch auch das gehört sicherlich zu dem Prozess dazu, in dem man sich als "Neu-Veganer*innen" befindet. Jeden Tag kommt man zu neuen Erkenntnissen und deckt für sich Fakten auf, die einem in der Tiefe in der Vergangenheit nicht bewusst waren.
Natürlich habe ich mich mit der Umstellung auf vegan auch dafür entschieden, in Zukunft bewusst darauf zu achten, keine Kleidungsstücke, die Wolle enthalten und Kosmetikprodukte mit Lanolin (Wollfett) mehr zu erstehen.
Auch in der Vergangenheit habe ich mich derer nur extrem selten bedient, da ich eine ziemliche Allergie zu haben scheine, meine Haut juckt und brennt (und das sogar, wenn ich etwas unter dem Kleidungsstück trage, welches die Wolle enthält), ich bekomme rote Augen und werde von Niesanfällen geplagt, sobald Wolle in meine Nähe kommt.
Die Devise war also auch bisher schon: Finger weg von Wolle. Nur achte ich eben heute noch bewusster auf die Zusammensetzung von Textilien und die Textur von Kosmetik.
Romantisierte Beiträge im Fernsehen
Seit meiner Ausbildung in einem klassischen Modegeschäft habe ich mich nicht mehr wirklich eingehend mit der Herkunft von Wolle beschäftigt, einfach auch, weil ich sie für mich persönlich nicht brauche und weitestgehend ausgeblendet hatte.
Mal sah ich einen romantisierten Beitrag im öffentlich rechtlichen Fernsehen über einen irischen Wollfarmer, mal überflog ich einen PETA -Artikel über die miserablen Zustände in neuseeländischen Massenbetrieben, doch beschäftigte ich mich noch mehr mit der Pelzindustrie. Die wirkliche Erkenntnis, was auch hierzulande mit Tieren in den Fängen der Wollgewinnungsmaschinerie passiert, kam erst vor kurzem.
Gebrochene Gliedmaßen und Qualhaltung
Auf der Seite von PETA stieß ich auf einen wirklich gut recherchierten Artikel1, der viele Fakten offen darlegte. Darin war unter anderem die Rede von "Kadavertonnen" für tote Lämmer, gebrochenen Gliedmaßen und Qualhaltung.
Ich begann zu recherchieren und plötzlich tat sich eine ganz neue, dunkle Tür auf, hinter der sich eine schmerzvolle Welt verbarg, die mir aus diversen Anti-Pelz Kampagnen nur allzu bekannt vorkam. Videos von gequälten Angora-Kaninchen und schwer verletzten Schafen tauchten auf. Bilder des Grauens.
Woher stammt die Wolle nun eigentlich? Das war eine der ersten Fragen, die es zu beantworten galt, um die Informationen, die plötzlich geballt auf mich einzuströmen schienen, zu ordnen und aufzunehmen.
Kaschmir, Angora, Mohair, Schurwolle, Alpakawolle, Merinowolle, all das waren Begriffe, die ich noch aus meiner Lehrzeit kannte und ich auch nach wie vor den einzelnen Tieren bzw. deren Rassen zuordnen konnte. Doch wie ergeht es diesen Tieren und wie wird diese Wolle gewonnen?
Schurwolle
"Schurwolle", das klingt zunächst nicht mal nach Tierquälerei, denn schließlich werden die Schafe , von denen diese Wolle stammt, ja "nur" geschoren. Oder? Viele der Menschen, mit denen ich mich bisher zu dem Thema ausgetauscht habe, waren der Meinung, die Schafe müssten sogar geschoren werden, um nicht leiden zu müssen. Ein bisschen erinnerte mich das schon wieder an die Geschichte mit der Milchindustrie und die landläufige Meinung der Menschen, Kühe würden leiden, würden sie nicht gemolken. Also rein ins Internet.
Fakt ist, dass Schafen, hätten sich nicht mal wieder die Menschen eingemischt, nur so viel Wolle wachsen würde, wie eben nötig ist, um sie vor extremem Wetter (Hitze, Kälte) in ihren natürlichen Lebensräumen zu schützen.
Stetiges Auszupfen der Wolle
Die erste Stufe der Wollzucht war es, die Schafe durch stetiges Auszupfen ihrer Wolle während ihres natürlichen Fellwechsels dazu zu bringen, immer mehr Wolle zu produzieren.
Wolle wird nachweislich seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. verwendet. Das indoeuropäische Wort "Wolle" kommt unter anderem in den germanischen Sprachen Englisch, Schwedisch und Isländisch, in baltischen wie litauisch und im Keltischen vor. Zudem in ausgestorbenen Sprachen wie Altindisch und Altnordisch.
Eine Verwandschaft mit dem lateinischen wort "vellere", das ins Deutsch übersetzt so viel wie "rupfen" bedeutet (lateinisch für "Wolle" ist "vellus"), soll bis heute ungeklärt sein, würde dies jedoch beschreiben. Der Wollproduktion unserer heutigen Schafe liegt ein langer Prozess züchterischer Veränderungen zugrunde.
Bis zum Beginn der Bronzezeit verwendeten Menschen ausschließlich Pflanzenfasern, ab diesem Zeitpunkt nahm die Entwicklung ihren Lauf.
Moderne Wollproduktion in Deutschland
"Blutige Massenzucht von Wollschafen? Das gibts doch nur in Australien. Bei uns gehts den Tieren doch gut!" Natürlich kann man diesen Eindruck bekommen, wenn man die plüschigen Heidschnucken beim Urlaub im Norden unseres Landes oder ihre etwas kleineren Verwandten, die braunen Bergschafe im Allgäu über die Weiden toben sieht. Die Wirklichkeit sieht leider etwas anders aus.
Der Wollpreis, den die Schäfer in Deutschland derzeit pro kg im Durchschnitt von den Händlern bekommen, liegt bei 0,30 Euro. Pro Schaf und Schur können, das kann von Rasse zu Rasse etwas schwanken, ca. 3 bis 5 kg gewonnen werden. Durch den Verkauf der Wolle können so nicht mal die Kosten für die Schur, geschweige denn für die Aufzucht, Fütterung und Pflege der Tiere erzielt werden.
Eine kleine Ausnahme bildet die Wolle der Merinoschafe, die im Gegensatz zur deutschen "Standardwolle" nicht grob und beige bis dunkelbraun, sondern weiß und sehr fein ist. Hier kann ein Züchter mit rund einem Euro pro kg rechnen.
Ein Schafscherer bekommt pro Schafschur ca. 3 Euro plus Fahrt- und Transportkosten zur Sammelstelle.
Schwerpunkt auf der Fleischproduktion
Rund 1,6 Millionen Schafe werden derzeit in Deutschland gehalten, 10.700 davon sind Milchschafe (Zahlen: Statistisches Bundesamt 2013). Der Schwerpunkt liegt auf der Fleischproduktion, pro Kopf werden in Deutschland im Jahr ca. 1,1 kg Lammfleisch verzehrt.
Schafe werden außerdem zur Landschaftspflege zum Beispiel an Hängen, Deichen oder an Autobahnrandstreifen eingesetzt. Nach und nach wird bei uns immer mehr auf die Zucht von sogenannten "Landschaftsschafen"(zum Beispiel Kamerunschafe) gesetzt, sie müssen nicht geschoren werden. In der Fleischzucht werden vor allem die wenige Wochen alten Lämmchen geschlachtet.
Auch bei uns berichten Schafzüchter untereinander von Gewalt, die von Schlägen bis zum Genickbruch bei der Schur reicht.
Die Schafzucht für Wolle rechnet sich lediglich für sehr große Zuchtbetriebe mit Merinoschafen, die gemischte, dunklere Wolle der anderen Rassen wird zum größten Teil ins Ausland transportiert und dort zu Filz, Teppichen, Dämmmaterial oder Pellets verarbeitet. Der größte Abnehmer ist hier China.
Wolle für die Bekleidungsindustrie stammt aus Australien, China und Neuseeland
Selbst die Wolle der in Deutschland gezüchteten Merinoschafe kommt von ihrer Feinheit nicht an die ihrer australischen Verwandten ran, daher wird auch sie nur in den seltensten Fällen in der Bekleidungsindustrie weiterverarbeitet. Merinowoll-Bekleidung, die man bei uns in den Geschäften bekommt, wird größtenteils aus der Wolle australischer, neuseeländischer und chinesischer Schafe hergestellt.
Die Wollproduktion der Schafe lässt in der Regel nach ca. 6 Jahren nach, die Tiere werden dann zum Schlachten verkauft. Die natürliche Lebenserwartung von Schafen liegt, mit kleinen Rassenunterschieden bei rund 20 Jahren.
Seuchenausbrüche beim Lebendexport
Viele der Tiere werden zum Schlachten nach Australien und in den nahen Osten verschifft, 2013 waren rund 1,9 Millionen Schafe von diesem Lebendexport betroffen.
Auf den Schiffen werden bis zu 100.000 Tiere transportiert, oft kommt es dabei zum Ausbruch lebensbedrohlicher Seuchen, an denen die Tiere bereits auf diesem langen Weg zur Schlachtbank verenden.
Zudem herrschen auf den Schiffen häufig hohe Temperaturen über 40 Grad Celsius, die unter den grausamen Umständen nicht selten zum Hitzeschlag führen.
Beim Verladen herrscht ein brutales Klima, in den Schlachthöfen im nahen Osten wird den Tieren ohne Betäubung die Kehle durchtrennt (PETA deckte auf1. In Australien und Deutschland würde diese Vorgehensweise gegen die OIE (Weltorganisation für Tiergesundheit) verstoßen.
In Deutschland leben die meisten Schafe in Bayern, Baden-Württhemberg und Schleswig-Holstein. 884.000 Lämmchen wurden 2013 bei uns ihres Fleisches wegen geschlachtet, die Zuchtschafe erwartet das gleiche Schicksal, sobald die Zuchtleistung nachgelassen hat.
Tierkinder sterben, um Tierarztkosten zu sparen
Deutsche Schäfer haben sehr hohe Verlustraten bei Lämmern (sechs bis 13 Prozent) zu verzeichnen, diese sterben bei Geburtskomplikationen oder kurz nach der Geburt an Unterernährung (PETA deckte auf2. Für Großbetriebe lohnt sich die Behandlung nicht, die Tierarztkosten sprengen das Budget, die Tierkinder verenden und landen auf dem Müll.
Bei der Schur muss es schnell gehen, um möglichst viele Tiere in möglichst kurzer Zeit "abzufertigen".
Panik, Tritte und Schläge
Vom Fluchtinstinkt getrieben, wehren sich die Schafe gegen den schonungslosen Griff der Scherer . Der Herzschlag beschleunigt sich um ein Vielfaches, sie hyperventilieren und verdrehen voller Angst die Augen.
Häufig kommt es auch zu Tritten und Schlägen mit den Schermaschinen.
Weltweit noch extremere Zustände
Im größten Wollexportland der Welt Australien (75 Millionen Schafe) wird bei der Schafschur besonders kaltblütig vorgegangen. Videos zeigen, wie sich die Scherer auf den Hals der Tiere stellen, ihnen ins Gesicht schlagen und sie stark verletzen.
Merinoschafe wurden faltig gezüchtet, um noch mehr Wolle zu gewinnen. Durch die Massen an Wolle sterben diese Tiere in den Sommermonaten oft an Überhitzung.
Verstümmelung beim Mulesing
In den Körperfalten sammelt sich jede Feuchtigkeit, mit der sie in Berührung kommen, Regen und Urin. Fliegen legen darin ihre Larven ab, die Larven ernähren sich von den Schafen, sie werden regelrecht aufgefressen.
Die Fliegenmadenkrankheit wird als Myasis3 bezeichnet. Die australischen Wollfarmer (Merinoschafe sind dort die am häufigsten vorkommende Schafrasse) wenden aus diesem Grund das sogenannte Mulesing4 an.
Bei diesem extrem schmerzhaften Prozess wird den Lämmern ohne Betäubung die Haut rund um den Schwanz entfernt. Das Schaf wird fixiert und die After-Schwanz-Falte durch das Entfernen eines V-förmigen Hautlappens gestrafft, der Schwanz ab dem dritten Schwanzwirbel kupiert.
2004 gab es ein Treffen der australischen Wollindustrie, bei dem der Beschluss gefasst wurde, bis Ende 2010 mit dem Mulesing aufzuhören, der Termin wurde ersatzlos gestrichen. Die einzige Änderung, die sich ergeben hat, ist, dass inzwischen einige Farmer ihre Tiere betäuben.
In Neuseeland haben die Farmer sich ab Ende 2010 freiwillig ein Verbot auferlegt, an das sich leider nicht alle halten.
Doch Wolle stammt nicht nur von Schafen. Als Wolle bezeichnet man nach dem Textilkennzeichnungsgesetz grundsätzlich die weichen Haare des Fells von Säugetieren5.
Angorakaninchen
Beim Angorakaninchen handelt es sich um eine langhaarige Kaninchenrasse. Die Wolle dieser Tiere wird vor allem für Unterwäsche, Bettwäsche, Schals und Decken verwendet, da sie besonders weich ist und eine schweißabsorbierende Wirkung haben soll. Angora-Kaninchen haben ihren Namen von der Angoraziege (siehe auch Mohair), da ihr Fell dem dieser Tiere stark ähnelt.
Bei der Gewinnung dieser Wollart wird den Kaninchen häufig die Wolle bei lebendigem Leibe ausgerissen. Tierschützer filmten dies u. a. auf neun verschiedenen chinesischen Pelztierfarmen.
90 Prozent der weltweit vertriebenen Angorawolle stammt aus China. Das Bild gleicht dem, welche uns aus Nerzfarmen für immer ins Gedächtnis eingebrannt sein wird, zu schmerzlich, es zu beschreiben, tausende Tiere sind in enge Einzelkäfige gesperrt.
Wenn ihnen das Fell entfernt wird, werden sie mit Schnüren an Bretter gebunden, um sie zu fixieren. Die Tiere, die die Qualen überleben, müssen diese Prozedur bis zu 5 Jahre lang immer wieder durchstehen, anschließend werden sie kopfüber aufgehängt und ihnen wird mit dem Messer die Kehle durchtrennt.
Weitere Wollsorten
Außer Schafwolle (Hierzu zählen Schurwolle und Merinowolle) und Angorawolle gibt es unter anderem Mohair, welches von der Angoraziege stammt, die von der Kaschmirziege stammende Kaschmirwolle, Alpakas liefern uns Alpakawolle
Nur in wenigen Punkten unterscheidet sich die Zucht bei diesen Tieren von der Schafzucht. So kam es zum Beispiel bei der Kaschmirziege nur zu wenigen züchterischen Veränderungen, bei ihrer Wollte handelt es sich speziell um die Unterwolle, die den Tieren während des Wollwechsels ausgekämmt wird.
Zahlreiche Alternativen
Man sollte meinen, dass wir auf dem heutigen Stand der Evolution andere Techniken entwickelt haben, uns warme Kleidung zu beschaffen und uns nicht mehr in die Felle anderer Säugetiere einhüllen müssen. Die gute Nachricht ist: Es ist so. Doch dies sollte sich sehr dringend schneller herumsprechen.
Zu den zahlreichen Alternativen zählen unter anderen Fleece, Tencel, Bambus, Polyacryl, Sojaseide und Baumwollflanell, um hier nur einige zu nennen.
Herbst- und Winterzeit ist Wollzeit
Schon seit einigen Wochen sieht man sie wieder in den Auslagen der Modegeschäfte liegen: Pullis, Schals und Socken aus Schurwolle, feine Merinounterwäsche und Kuscheldecken aus Kaschmir oder Angora.
Ich hoffe sehr, dass hier bald ein Umdenken erfolgt und nach und nach immer weniger Menschen diese Ware kaufen. Vielleicht konnte ich ja auch mit meinem Bericht dem Einen oder der Anderen ein bisschen die Augen öffnen.
Immerhin haben in den letzten Jahren schon mal einige Hersteller zumindest Angora und/oder Mulesing-Wolle aus ihren Kollektionen verbannt. Ein kleiner Wermutstropfen, oder der erste Schritt in eine tierleidfreie Zukunft?
Schwer zu sagen, wenn man derzeit die Kunstfell-Kragen, -Schals und -Mützenbommel sieht, die leider in den seltensten Fällen auch aus Kunststoff bestehen, doch dazu mehr im achten Teil meiner Serie.
Hier geht's zu Teil 7 des Artikels