A Place To Bury Strangers Gründer Oliver Ackermann
"Irgendwann werden wir alle vegan leben"
A Place To Bury Strangers Gründer Oliver Ackermann hat sich zu einem Interview bereiterklärt. Wir haben uns ausführlich über das neue Album "See Through You" unterhalten. Außerdem habe ich ihm einige Fragen zu seiner veganen Lebensweise gestellt und er hat mir verraten, wie die aktuelle Tour läuft und was APTBS als Nächstes geplant haben.
Das Gespräch war für mich ein absolutes Highlight meiner bisherigen Blog-Geschichte und ich bin sehr stolz, es Euch heute präsentieren zu können. A Place To Bury Strangers sind eines der vielseitigsten Projekte ihres Genres. Die 2003 in New York gegründete Band ist für ihre überaus intensiven Live-Shows und ihren emotionalen, bildgewaltigen Noise/Shoegaze Sound bekannt.
Anne: Hi Oliver! Vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für dieses Interview nimmst! Ich fühle mich geehrt, dass Du ab heute Teil meines Blogs bist! Wie geht es Dir heute? In den letzten Wochen habt Ihr ja über Social Media gute Stimmung verbreitet mit Euren Tourbildern und Konzertdaten. Es ist also endlich wieder so weit! Freust Du Dich darüber?
"Die Tour ist eine gute Sache"
A Place To Bury Strangers, London, 2. April 2022 © Nick Sayers, Deathwish Photography
Oliver: Hallo Anne! Danke für das Gespräch! Wir sind gerade über den Channel Tunnel nach England gefahren und werden heute Abend in London ankommen. Ich war ziemlich unsicher, was aus dieser Tour werden würde, weil sich nach wie vor weltweit alle Sorgen machen, wie es weitergeht und was als Nächstes passieren wird. Allerdings hat es sich auch so angefühlt, als hätten wir zumindest für einen Moment die Möglichkeit die Realität zu vergessen – was ja auch gut sein kann – und bis jetzt ist es wirklich gut gelaufen. Ich bin der Meinung, wenn sich Dir die Möglichkeit bietet, Dich unterhalten zu lassen, dann ist es eine gute Sache.
Anne: Wo können wir Euch sehen? Werden zu den Konzerten, die Ihr auf Eurer Homepage angekündigt habt, noch weitere Shows dazukommen?
Oliver: Die Gigs, die Du auf unserer Webseite1 gefunden hast, werden alle stattfinden. Es werden auch noch weitere Daten dazukommen. Ich glaube, im Moment ist es am besten, abzuwarten und es auf sich zukommen zu lassen.
Anne: Ihr habt gerade Euer neues Album "See Through You" veröffentlicht. Gratulation dazu, es ist großartig! Was hat Euch beim Schreiben inspiriert?
"Das neue Album ist die Zusammenfassung einer Reise"
A Place To Bury Strangers, London, 2. April 2022 © Nick Sayers, Deathwish Photography
Oliver: Vielen Dank. Ich war in einer komischen Stimmung, als wir die Platte gemacht haben und eine Menge davon steckt darin. Ich hatte das Gefühl, von den früheren Bandmitgliedern betrogen und im Stich gelassen worden zu sein. Das Schreiben für diese Platte hat mir wirklich geholfen, was sich da in meinem Kopf abgespielt hat, zu überwinden. Es ist zermürbend, wenn Du Dich von Deinen Freund⋆innen im Stich gelassen fühlst. Es hat mich an frühere Zeiten der Enttäuschung erinnert, aber es war auch wirklich cool, wie viele andere Freunde mir die Hand gereicht und mir während des Prozesses geholfen haben. Ich fühle mich jetzt so viel besser, und das Album fasst diese Reise so zusammen, wie sie sich während der Aufnahmen in Echtzeit abgespielt hat.
Anne: Ich glaube, mein Lieblingsstück auf der Platte ist "I Disappear". Ich liebe seine elektrische Atmosphäre und die greifbare Stimmung. Möchtest Du mir die Geschichte dahinter verraten?
Oliver: Es ist der Klang des Zerfließens – unter den Berührungen eines⋆r Geliebten. Befangenheit und Selbstzweifel verschwinden in diesen Momenten einfach. Der Klangteppich ist der Sound des Realitätsverlusts.
Anne: Ihr habt den Ruf, die lauteste Band New Yorks zu sein – würdest Du sagen, dass es immer zu Deinen Zielen gehört hat, die Lautsprecher zum Bersten zu bringen und Menschen mit extrem lautem Sound zu schockieren?
"Wir wollen nicht in etwas Leichteres zurückfallen"
A Place To Bury Strangers, London, 2. April 2022 © Nick Sayers, Deathwish Photography
Oliver: Ich denke, es gibt eine Zeit, in der die Dinge eine angemessene Lautstärke haben, und manchmal funktionieren unsere Shows bis zu diesen Momenten. Diese Art Musik macht A Place To Bury Strangers aus. Es ist eine Art Regel von mir, dass wir mit dieser Band nicht in etwas Leichteres zurückfallen, sondern die Unruhe und Aufregung dieser Musik weiter erforschen werden. Das ist zumindest eines unserer Ziele. Ich habe das Gefühl, dass manche Bands nach einem hervorragenden Album einfach aufgeben und dann die Richtung verlieren und keine weitere anspruchsvolle Platte mehr herausbringen. Wir werden damit vielleicht keinen Erfolg haben, aber wenn ich nicht das Gefühl habe, dass ein neues Album, an dem wir arbeiten, in diesem Moment wichtig ist, würde es einfach nicht erscheinen.
Anne: Würdest Du sagen, dass Ihr über die Jahre ruhiger geworden seid? Oder ist eher andersrum, wie bei Band wie Swans und Mogwai?
Oliver: Ich denke, Menschen gewöhnen sich daran, dass Musik immer lauter und lauter wird. Aus der Perspektive des Publikums ist es also gar nicht mehr so schockierend. Wir spielen aber nach wie vor so laut, wie wir es immer getan haben. Manche Konzertsäle oder lokale Vorschriften verhindern das, aber uns gefällt es schon immer am besten, wenn die Musik den Körper durchschüttelt und Du das Gefühl hast, dass die Klangwellen Deine Gehirnwellen durcheinanderbringen.
Anne: Vor ein paar Jahren wart Ihr mit Nine Inch Nails auf Tour. Wie war es, Zeit mit Trent und Atticus zu verbringen? Seid Ihr befreundet?
Oliver: Diese Tour war absolut fantastisch, aber wir haben nicht so viel Zeit mit ihnen verbracht, wie wir gedacht hatten. Ich war so überwältigt, dass wir uns einfach nicht mehr gemeldet haben. Es war so surreal, Leute kennenzulernen und als Freunde zu haben, von denen ich als Teenager ein riesiger Fan war.
Anne: Genug über andere Bands. Mit Eurer Musik bleibt Ihr immer Eurem Stil treu und schafft es gleichzeitig, unterschiedliche Blickwinkel und Stimmungen herauszuarbeiten. Das führt zu einem sehr vielseitigen Erlebnis, wenn man sich die unterschiedlichen Platten aus Eurer Diskografie nacheinander anhört. Was ist Euer Geheimnis? Wie schafft Ihr es, als diese kreativen Ideen zu kanalisieren, fokussiert zu bleiben und ein so außergewöhnliches Gesamtkunstwerk zu erschaffen?
"Die Leute scheine meine Ideen zu mögen"
A Place To Bury Strangers, London, 2. April 2022 © Nick Sayers, Deathwish Photography
Oliver: Es war wirklich die Zuversicht, die mit der Veröffentlichung unseres ersten Albums kam – ich hatte das gar nicht geplant.
Ich hatte jahrelang mit meinen eigenen Techniken aufgenommen und dachte, dass mir das nicht wirklich hilft, weil ich der Meinung war, dass niemand meine Musik mag. Als die Platte dann begeisterte Kritiken bekam, dachte ich mir, ok, ich folge einfach meinem Herzen und mache die Dinge von nun an auf meine Art. Ich habe das große Glück, dass die Leute meine persönlichen musikalischen Entdeckungen mögen und einfach weitermachen. Ich erinnere mich, dass ich in meiner Jugend neugierig war, wie jemand, der nur ein einziges Bild malt und sein ganzes Leben damit verbringt, wohl aussehen würde. Die seltsame Welt unserer Musik ist eine Art inspirierte Version dieser bizarren Idee.
Anne: Du hast mir erzählt, dass Du auch vegan lebst. Wann hast Du beschlossen, den Konsum tierischer Produkte aufzugeben?
"Tieren Schmerzen zuzufügen ergibt keinen Sinn"
Oliver: Meine Verlobte hatte da einen großen Einfluss auf mich. Hinzu kamen Dokumentationen wie Earthlings. Ich glaube, inzwischen sind es fünf Jahre? Ich bin mir nicht sicher, aber es gibt einfach keinen Grund, Tieren wehzutun. Wir müssen das nicht tun. Wir müssen nicht jede Bequemlichkeit haben auf dieser Welt. Ich würde ja auch keiner Kuh ins Gesicht schlagen, wenn ich sie auf einer Wiese an mir vorbeigehen sehe.
Anne: Ich kann mir vorstellen, dass Du eine Menge Menschen triffst, wenn Du auf Tour unterwegs bist oder im Studio arbeitest. Konntest Du einige davon überzeugen, auch vegan zu leben?
Oliver: Ich denke, es ist sehr hilfreich, dass wir oft mit vielen Leuten in vegane Restaurants gehen. Das regt sie zumindest zum Denken an, weil es einfach Sinn ergibt. Und selbst wenn jemand sich nicht gleich dazu entscheidet, vegan zu leben und nach und nach immer weniger tierische Produkte konsumiert, kommen wir damit einem gesünderen Planeten immer näher.
Anne: Wir erklärst Du Dir, dass so viele Menschen innerhalb des Musik-Business es zumindest schon mal versucht haben, auf vegan umzustellen? Ich glaube, insgesamt ist der Durchschnitt viel höher, als in der Gesamtbevölkerung.
"Die Gefühle und Emotionen der Musik verbinden uns mit den Tieren"
A Place To Bury Strangers, London, 2. April 2022 © Nick Sayers, Deathwish Photography
Oliver: Musik hat so viel mit Gefühlen, Emotionen und Schmerzen zu tun. Da ist die Verbindung zu Tieren nicht weit. Wir wollen keine Schmerzen haben und wollen nicht, dass uns jemand welche zufügt. Mit der Musik haben wir dieses Ventil. Dabei treten oft einen Schritt zurück, analysieren die Situation und sehen, wie verkorkst sie ist.
Anne: Würdest Du sagen, dass Musik für Dich eine Form von Aktivismus ist? Falls nicht: Kannst Du es Dir vorstellen, sie dazu zu nutzen? Ich habe dieses sehr persönliche Interview mit Belinda und Justin von Crippled Black Phoenix gemacht. Sie haben mir erzählt, dass sie gerne mehr tun würden, dass es aber auch immer eine Sache der perfekten Dosis ist?
Oliver: Ich glaube schon, aber auf eine sehr indirekte Weise. Ich glaube beide Wege – der direkte und der indirekte – sind sehr wichtig. Mit Inspiration kannst Du jemanden dazu bringen, an sich selbst zu glauben und rationale Entscheidungen zu seinem persönlichen Wohlergehen zu treffen. Man könnte das als eine von Art Lern-Blöcken bezeichnen. Wenn man eine direkte Methode nutzt, sagt man den Leuten, was sie tun und lassen sollen. Das kann manchmal dazu führen, dass Menschen keine Gefühle investieren, weil sie nicht selbst darauf gekommen sind. Wenn wir ihnen eine schöne und bessere Welt zeigen, kann es passieren, dass sie auch dort leben wollen.
Anne: Warum sagen so viele Menschen, dass sie Tiere lieben, aber eine Stunde später essen sie wie gewohnt Fleisch, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, was auf ihrem Teller liegt – während sie andere militant nennen, weil sie nicht wollen, dass Lebewesen für sie sterben müssen?
"Vegan ist der einzige logische Weg"
Oliver: Es ist diese seit vielen Jahren laufende großangelegte Kampagne. Die Fleischindustrie ist enorm groß und den Firmen sind die Tiere egal. Sie wollen nur das Geld. Wenn mehr Geld in Seitan stecken würde, würde es sich automatisch verändern – das tut es ja inzwischen zum Glück auch ein bisschen. Auf jeden Fall gibt es inzwischen überall veganes Fast-Food und vegane Optionen in Restaurants. Ich glaube daran, dass wir irgendwann alle vegan leben werden. Es scheint der einzige logische Weg nach vorne zu sein. Ich glaube, es ist im Grunde alles nur eine Kombination aus mangelnder Bildung und Faulheit.
Anne: Was steht als Nächstes für APTBS auf dem Plan – neben der Promotion für das neue Album und Eure Tour-Pläne? Arbeitet Ihr schon wieder an neuen Songs?
Oliver: Das tun wir! Wir haben auf der Tour jeden Abend einen neuen Song gespielt und es hat so viel Spaß gemacht. Ich bin gespannt, in welche Richtung sich die Band als Nächstes entwickeln wird. John, Sandra und ich haben so viel Spaß und haben so viele krasse Ideen. Es ist wirklich großartig.
Anne: Danke, dass Du meine Fragen beantwortet hast! Es war mir eine große Freude!
Oliver: Danke, Anne! Die Freude ist ganz meinerseits.
A Place To Bury Strangers – "I Disappear"
Bilder/Pictures: Nick Sayers, Deathwish Photography, A Place To Bury Strangers, London, 2. April 2022