Vogelzeichnerin Jenny Thams
"Wenn Menschen etwas kennen, sind sie eher bereit es zu schützen"
Jenny Thams zeichnet für ihr Leben gern. Vor Kurzem hat sie sich ein ganz besonderes Ziel gesetzt: alle in Österreich heimischen Vogelarten einmal zu zeichnen. Die wunderbaren Kunstwerke, die dabei entstehen, teilt sie über die sozialen Netzwerke. Dort habe ich die Künstlerin kennengelernt und sie kurzerhand zu einem Interview eingeladen.
Anne: Hallo Jenny, danke, dass Du Dir die Zeit für das Interview nimmst. Ich bin gespannt, mehr über Dich und Deine Kunst zu erfahren. Möchtest Du mir erzählen, wie Du zur Kunst gekommen bist?
Jenny: Hallo Anne, ich danke Dir für die Einladung. Ich habe schon mein Leben lang gerne gezeichnet. Ich habe mir als Kind und Jugendliche gerne das “WP-Magazin” gekauft. Das ist ein Infomagazin zu Sittichen und Papageien. Als in einigen Ausgaben Vogel- und Papageienmaler vorgestellt wurden, war mir schnell klar: Das möchte ich auch können. Als junge Erwachsene habe ich mir neben dem Studium ein Zubrot damit verdient, im Auftrag Haustiere zu zeichnen. Kunst hat mich schon immer begleitet.
Anne: Du hast mir erzählt, dass es Dein Ziel ist, alle in Österreich heimischen Vögel zu zeichnen – Chapeau! Wie lange arbeitest Du schon daran und wie und wann bist Du auf die Idee gekommen?
"Ich wollte schon immer Vögel zeichnen"
Amsel. Bild: Jenny Thams
Jenny: Auf die Idee bin ich vor ungefähr einem halben Jahr gekommen. Ein enger Bekannter hatte mehrere heimische Vogelarten von mir zeichnen lassen. Das hat mich daran erinnert, wie ich als Kind “Vogelmalerin” werden wollte. Die Zeit war gekommen, mir ein Ziel zu setzen – das Ziel, jede österreichische Vogelart einmal zu zeichnen. Es fühlte sich ganz natürlich an. Ich arbeite allerdings erst seit Mitte Dezember 2022 konkret daran – bin also noch ganz frisch dabei.
Anne: Du zeichnest fotorealistische Bilder. Welche Technik verwendest Du bei Deinen Zeichnungen und wie lange dauert es in der Regel, ein Bild von einem Vogel zu vollenden?
Jenny: Wenn ich mit Farbstiften zeichne, nutze ich hochwertige Polychromos. Vor Kurzem habe ich außerdem begonnen, auch mit Aquarell zu malen – oder sollte ich besser Zeichnen sagen? Ich nutze die Aquarellfarbe ähnlich wie meine Farbstifte. Sie verzeiht jedoch mehr und ich kann Fehler noch ausbessern. Dies funktioniert bei Farbstiften nicht so gut. Ich benötige für ein 24 × 32 cm großes Vogelbild in beiden Techniken rund 10 Stunden.
Anne: Welche Vogelart ist Dein persönlicher Favorit und warum?
"Blaumeisen sind mutig"
Blaumeise. Bild: Jenny Thams
Jenny (lacht): Das ist eine schwierige Frage! Sie besitzen alle ihre Besonderheiten und ihre eigene Schönheit. Wenn ich mich entscheiden müsste, dann wohl das Rotkehlchen oder die Blaumeise. Blaumeisen sind klug und sehr mutig. Sie werden häufig unterschätzt.
Anne: Ich sollte mich wohl mehr mit Blaumeisen beschäftigen! Welche Herausforderungen hast Du bei der Zeichnung von Vögeln und wie gehst Du damit um?
Jenny: Aktuell ist die größte Herausforderung, geeignete Vorlagenfotos zu finden. Es gibt nicht von jeder Art lizenzfreie Fotos, die für eine Zeichnung geeignet wären und ich habe ich nicht die Mittel, die Bildrechte für mehrere Hundert Arten zu kaufen. Zum Glück wächst meine Instagram-Community immer mehr. Einige Fotograf⋆innen haben mir bereits angeboten, ihre Bilder als Vorlagen zu nutzen. Vernetzung ist hier wirklich sehr hilfreich.
Anne: Welches Ziel verfolgst Du mit Deiner Arbeit und auf welche Weise möchtest Du die Menschen damit inspirieren und berühren?
"Alle Vögel verdienen unseren Schutz"
Schwanzmeise. Bild: Jenny Thams
Jenny: Jeder Vogel ist wunderschön und schützenswert. Wir konzentrieren uns häufig auf die spektakulären Arten wie Adler, Storch oder Geier. Dabei vergessen wir, dass auch die Bestände von den Sperlingen oder den Meisen stetig abnehmen. Ich kombiniere Bild und Wort und gebe zu meinen fertigen Zeichnungen auch immer Informationen über den abgebildeten Vogel. Wenn die Menschen etwas kennen, sind sie eher dazu bereit, es zu schützen. Ich hoffe, ich kann auf diese Weise ein wenig zum Vogelschutz beitragen.
Anne: Wie gehst Du vor, wenn Du eine neue Vogelart zeichnen möchtest und welche Recherche betreibst Du dafür?
Jenny: Zuerst einmal schaue ich mir die verschiedensten Fotos von der Vogelart an, bis ich mir sicher bin, dass ich sie zuverlässig von etwaigen ähnlichen (Unter-)Arten unterscheiden kann. Dann beschäftige ich mit den Details: Wo leben sie, was fressen sie?
In letzter Zeit habe ich angefangen, die Hintergründe passend zum jeweiligen Vogel mit auszugestalten. Da entscheiden diese Informationen bereits über den Bildaufbau. Als Nächstes suche ich mir ein geeignetes Vorlagenfoto. Dieses nutze ich normalerweise eher als Hinweis für die Pose und die allgemeinen Proportionen. Zusätzlich habe ich noch ein Dutzend weitere Fotos geöffnet, auf denen ich unter anderem die für den Vogel typische Gefiederstruktur, die Augen, Füße deutlicher sehen kann. Einige der Vorlagen habe ich selbst fotografiert, bei anderen verlasse ich mich auf den Fundus an lizenzfreien Bildern.
Anne: Ich für meinen Teil kann sagen, dass mich Vögel schon immer fasziniert haben. Ich kann sie stundenlang beobachten und mit der Kamera und dem Teleobjektiv auf sie warten. Ich liebe Deine Arbeiten und wie wunderbar detailreich Du die Vögel auf Papier bringst. Was ist Dein persönlicher Bezug zu Vögeln? Hast Du beruflich mit ihnen zu tun? Bist Du mit ihnen aufgewachsen?
"Ich bin mit Vögeln aufgewachsen"
Stieglitz. Bild: Jenny Thams
Jenny: Ich bin tatsächlich mit Vögeln aufgewachsen. Erst waren es Kanarienvögel, die bei uns in einer Voliere zusammenlebten – die paprikarote “Chipsy” gehörte mir. Mir wurde dann schnell klar, dass mein eigentliches Interesse den Sittichen galt. Als Jugendliche hatte ich dann Wellensittiche und Nymphensittiche. Nebenbei habe ich immer gerne Vögel in der Natur beobachtet. Und auf meinen Wanderungen teile ich mir heute noch gerne mal einen Apfel mit einer frechen Alpendohle.
Anne: Du nutzt ja wie ich Social Media, um Deine Arbeit zu präsentieren. Ein Mitglied Deiner "Zielgruppe" hast Du ja mit mir schon erreicht, indem Du mich neugierig gemacht hast. Wie schätzt Du die Wirkung der sozialen Netzwerke insbesondere für Künstler⋆innen ein?
"Ich möchte meine Liebe zur Natur und den Tieren mit anderen teilen"
Jenny: Das hängt sehr stark davon ab, wie man als Künstler⋆in mit dieser Möglichkeit umgeht. Bleibt man in seiner Bubble und vernetzt sich nur mit anderen Kunstschaffenden? Oder schafft man den Sprung, die Menschen zu erreichen und anzusprechen, die Kunst zwar wunderschön finden, aber sie selbst nicht erschaffen? Beides hat Vor- und Nachteile. Ich habe festgestellt, dass andere Kunstschaffende oft sparsam mit netten Kommentaren und Likes umgehen. Vielleicht spielt hier ein wenig Konkurrenzdenken mit hinein. Mir gefällt es am besten, mich mit Menschen zu vernetzen, die meine Liebe zur Natur und zu den Tieren mit mir teilen.
Anne: Hast Du noch andere Kanäle (also auch offline), über die Du Deine Bilder teilst?
Kleiber. Bild: Jenny Thams
Jenny: Früher habe ich mit einer Galerie zusammengearbeitet, die meine Tierzeichnungen ausgestellt hat. Die Jahre 2019 bis 2022 habe ich mich langwierig vom Karpaltunnelsyndrom erholt. Leider konnte ich dadurch jahrelang nicht zeichnen. In dieser Phase ist alles eingebrochen. Aber ich habe auch festgestellt, dass es Zeit ist, neue Wege zu gehen: weg von der Auftragskunst hin zu mehr freien Werken, die mir tiefe Freude bringen. Daher bin ich gerade dabei, mich hier vollständig umzuorientieren.
Anne: Welche Pläne hast Du für die Zukunft, was Deine künstlerische Arbeit betrifft?
Jenny: Mein jetziges Vorhaben wird mich noch gut drei Jahre lang beschäftigen. Ich möchte schon innerhalb dieses Prozesses weitere Techniken lernen. Als Nächstes möchte ich die Airbrush-Technik ausprobieren. Ich stelle sie mir wunderbar für ausgearbeitete Hintergründe vor. Mein großer Traum wäre es, eines Tages ein kleines Ladengeschäft mit angeschlossenem Atelier zu haben und dort meine Bilder vor Ort zu verkaufen.
Anne: Welche Botschaft möchtest Du mit Deiner Arbeit vermitteln und welche Rolle spielt die Natur in Deinem Leben und Deiner Arbeit?
"Ich genieße die Natur jeden Tag"
Eisvogel. Bild: Jenny Thams
Jenny: Die Natur ist wunderschön in all ihren Facetten. Sie spielt in meinem Leben eine sehr große Rolle. Ich bin der wilden Natur wegen tief ins Gebirge gezogen. Hier oben in unserem Hochtal leben auf viele Kilometer verteilt nur etwa 450 Menschen. Dafür haben wir wilde Orchideen, Feuerlilien und andere seltene Pflanzen. Und ich brauche nur fünf Minuten laufen, um von meinem Haus zu einem Teich zu kommen, an dem im Sommer regelmäßig ein Schwarzstorch zu Gast ist. Zehn Gehminuten weiter finde ich Eisvögel. Ich möchte die Schönheit der Natur, die ich täglich sehe, auch anderen Menschen vermitteln.
Anne: Wow! Das klingt wunderschön und wie das komplette Kontrastprogramm zu einer Großstadt wie Hamburg. Welche Tipps würdest Du Menschen geben, die gerne Vögel zeichnen möchten? Wie sollte man an die Sache rangehen?
Jenny: Zeit ist der wichtigste Faktor, den die meisten vernachlässigen. Habe Geduld. Eine gute Zeichnung benötigt viel Zeit. Du musst bereit sein, Dich über Stunden hinweg voll zu konzentrieren. Wenn Du Dich beeilst, sieht man das sofort und das ruiniert Dir Deine Zeichnung. Ich nehme mir allein für meine Vorzeichnungen schon rund zwei Stunden Zeit.
Anne: Vielen lieben Dank für das inspirierende und sympathische Gespräch!
Jenny: Danke Dir!
Ihr könnt Jenny bei Instagram folgen.
Hinweis: Alle hier gezeigten Bilder hat mir die liebe Jenny für diesen Artikel zur Verfügung gestellt. Danke dafür! (Bilder: ©Jenny Thams)